1. Was ist eine Gratifikation
Eine Gratifikation ist gemäss Art. 322d Abs. 1 OR eine Sondervergütung, die neben dem Lohn bei bestimmten Anlässen, wie Weihnachten oder Abschluss des Geschäftsjahres, ausgerichtet wird. Sie ist eine freiwillige Leistung der Arbeitgeberin. Ein Anspruch besteht grundsätzlich nur, wenn es verabredet ist. Es liegt im Ermessen der Arbeitgeberin, ob und in welcher Höhe sie eine Gratifikation an ihre Arbeitnehmenden ausrichten will.
2. In welchen Fällen hat die Arbeitnehmerin bzw. der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Gratifikation?
Es gibt verschiedene Konstellationen, in denen die Arbeitnehmerin bzw. der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Gratifikation hat. Dies ist namentlich der Fall, wenn
die Auszahlung einer Gratifikation im Arbeitsvertrag vereinbart wurde;
die Gratifikation über Jahre ununterbrochen und vorbehaltslos ausbezahlt wird;
der Charakter als Zusatz entfällt und die Gratifikation die einzige Vergütung für die geleistete Arbeit darstellt oder regelmässig höher ist als der Grundlohn;
der Freiwilligkeitsvorbehalt als leere Floskel gilt und über Jahre nicht angewendet wurde.
3. Welche Arten von Gratifikationen gibt es?
Es gibt zwei verschiedene Arten von Gratifikationen: die echte und die unechte Gratifikation. Zusätzlich gibt es die Sondervergütung mit Lohncharakter, wobei es sich hierbei nicht um eine Gratifikation, sondern um einen Lohnbestandteil handelt. Keine Gratifikation ist der 13. Monatslohn.
Die echte Gratifikation ist eine rein freiwillige Leistung der Arbeitgeberin. Es gibt keine vertragliche Regelung oder Absprache und es liegt im alleinigen Ermessen der Arbeitgeberin, ob und falls ja, in welcher Höhe sie eine Gratifikation ausrichten will.
Die unechte Gratifikation ist demgegenüber zwar im Grundsatz vertraglich vereinbart, die Höhe ist allerdings nicht festgelegt, sondern liegt im Ermessen der Arbeitgeberin.
Um eine Sondervergütung mit Lohncharakter handelt es sich demgegenüber, wenn sowohl der Anspruch an sich als auch die Höhe vertraglich geregelt ist, sodass der Arbeitgeberin kein Ermessensspielraum mehr zukommt.
4. Sind Gratifikationen AHV- und BVG-pflichtig?
Gratifikationen gehören nach Art. 5 Abs. 2 AHVG i.V.m. Art. 7 lit. c AHVV zum massgebenden Lohn und sind AHV-pflichtig.
Ob Gratifikationen auch BVG-pflichtig sind, hängt vom Reglement der Pensionskasse ab. Grundsätzlich gilt, dass im BVG-Obligatorium der AHV-pflichtige Lohn zu versichern ist. Aufgrund von Art. 7 Abs. 2 BVG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 lit. a BVV 2 kann die Vorsorgeeinrichtung jedoch in ihrem Reglement vom massgebenden Lohn der AHV abweichen, indem sie Lohnbestandteile weglässt, die nur gelegentlich anfallen.
5. Was ist bei der Auszahlung von Gratifikationen zu beachten?
Wichtig ist zunächst, klare Formulierungen im Arbeitsvertrag oder Reglement zu verwenden. Bei der Auszahlung von echten Gratifikationen ist die Freiwilligkeit der Leistung ausdrücklich zu vermerken. Zusätzlich ist die Freiwilligkeit der Auszahlung der Arbeitnehmerin bzw. dem Arbeitnehmer bei jeder Auszahlung zu kommunizieren. Dies kann bspw. mittels Vermerks auf der Lohnabrechnung geschehen. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass eine jahrelange Auszahlung dennoch einen Anspruch der Arbeitnehmerin bzw. des Arbeitnehmers begründen kann, wenn sich der Freiwilligkeitsvorbehalt als leere Floskel erweist.
6. Kann die Gratifikation auch in Form von Naturalleistungen erfolgen?
Ja, möglich ist bspw., dass Aktien oder Optionen des Unternehmens als Gratifikationen ausgegeben werden.
7. Darf eine Gratifikation an Bedingungen geknüpft sein?
Da zumindest die echte Gratifikation eine freiwillige Leistung der Arbeitgeberin darstellt, darf die Auszahlung an Bedingungen, wie ein bestehendes oder ungekündigtes Arbeitsverhältnis, geknüpft sein. Anders verhält es sich, wenn die Arbeitnehmerin bzw. der Arbeitnehmer einen Anspruch auf die Gratifikation hat (vgl. Ziff. 2 hiervor). Diesfalls kann die Auszahlung nicht an Bedingungen geknüpft werden.
8. Kann vereinbart werden, dass die Arbeitnehmerin bzw. der Arbeitnehmer die Gratifikation zurückzahlen muss, wenn sie bzw. er nicht für eine gewisse Zeit nach der Auszahlung der Gratifikation im Unternehmen verbleibt?
Ob solche Rückzahlungsklauseln vor dem Hintergrund der Kündigungsparität zulässig sind, ist umstritten und durch die Gerichtspraxis nicht restlos geklärt. Hat die Arbeitnehmerin bzw. der Arbeitnehmer Anspruch auf die Gratifikation, ist eine Rückzahlung ausgeschlossen. Demgegenüber ist bei echten Gratifikationen analog zu Konkurrenzverbotsabreden zu vertreten, dass eine Rückzahlungspflicht jedenfalls dann entfällt, wenn die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis kündigt, ohne dass ihr die Arbeitnehmerin bzw. der Arbeitnehmer einen Grund dafür gegeben hat, oder die Arbeitnehmerin bzw. der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis aus einem von der Arbeitgeberin zu verantwortenden Grund kündigt.
Für weitere Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung (061 515 00 30 oder info@gysinrecht.ch).
MLaw Alexander Schwab, Advokat
Basel, 15. Dezember 2024
Die Ausführungen hiervor berücksichtigen keine konkreten Umstände und stellen keine Rechtsberatung dar. Eine Haftung ist ausdrücklich ausgeschlossen.
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